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Es geht immer um die richtige Inszenierung

Ein Interview mit dem Jazzpianisten und Komponisten Michael Wollny

VON THOMAS OTTO

Der 1978 geborene Jazzpianist und Komponist Michael Wollny hatte zunächst eine musikalische Ausbildung (Klavier, Violine) an der Musikschule Schweinfurt bevor er ab 1997 studierte er an der Hochschule für Musik in Würzburg studierte.

Wollny, zwischen 1998 und 2002 Mitglied im Bundesjazzorchester, spielt in den verschiedensten Formationen – vom Solo über Trio und Quartett bis hin zu renommierten Orchesterensembles wie der hr-Bigband oder den Berliner Philharmonikern. Seit 2005 steht er bei dem Jazzlabel ACT unter Vertrag.

Michael Wollny zählt heute zu den beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Jazzpianisten. Jetzt veröffentlichte er mit seinem Trio das neue Album „Ghosts“. Im Oktober und November ist er mit seinem Trio auf Deutschland-Tour.

Thomas Otto unterhielt sich mit dem Komponisten und Pianisten Michael Wollny über die Arbeit an dem Album, über das Komponieren, musikalisches Erinnern, die Lust am Improvisieren und über den Umgang mit den musikalischen „Geistern der Vergangenheit“.

„Ghosts“, die viel beschworenen „Geister der Vergangenheit“, oder „Ghosts“ als nicht wirklich fassbare Phänomene - wie nähert man sich Ihrem neuen Album am ehesten?

Es gibt Begriffe die, je länger man über sie nachdenkt, desto universaler werden. Und genau das mochte ich an diesem Albumtitel, dass er einerseits so konkret und zugleich so weit ist. Neben der Tatsache, dass ich mich schon sehr lange für das Thema Geister und Gespenster interessiere, ist mir im letzten Jahr klar geworden, das man als Musiker sehr viel mit seinen Erinnerungen zu tun hat. Nicht nur die eigenen Erfahrungen mit Musik, Erinnerungen an Musik, die man gehört hat, schon von frühester Kindheit an - als Komponist und Improvisator bin ich eigentlich immer von meinen musikalischen Erinnerungen, Heimsuchungen umgeben, wie von Geistern - es hat auch damit zu tun, dass man als Komponist und Improvisator aktive Erinnerungsarbeit leistet, mit Vorhandenem aus seinem Kurzzeitgedächtnis und Schnipseln aus dem Langzeitgedächtnis. Bei diesen Prozessen entsteht nichts Objektives, sondern immer etwas sehr Subjektives. Und genau das ist es, was mich als Musiker interessiert. Ich möchte keine korrekte Version von etwas wiedergeben, sondern mein Eigenes. Wie nähert man sich also diesem Album? Ich glaube jeder am besten mit seinem eigenen Kopf, seinen eigenen Ohren, seinen Erfahrungen, seinem Bauch.

Mit Blick auf Ihr Album zitieren Sie den irischen Dichter und Schriftsteller Brendan Kenelly: „Alle Songs sind wie Geister und sehnen sich nach einer lebendigen Stimme“. Mich interessiert, mit welchen Sie sich am meisten beschäftigt haben, welche zu Ihnen „durchgedrungen sind“. Sie haben ja für Ihr Album eine Auswahl getroffen - warum gerade diese?

Nun, das sind alles geisterhafte Songs, die ich gar nicht mal für dieses Album „gecastet“ habe, sondern die mir im Kopf herumschwirrten. Eben Heimsuchungen. Man hat ja eh keinen Einfluss darauf, wie lange oder wie sehr sie einen nach dem Hören weiterbeschäftigen. Was ich sicher am längsten mit mir herumtrage, ist der „Erlkönig“ – da habe ich auch ziemlich lange nach einer Idee gesucht, wie dieses Stück im Kontext mit dem Klaviertrio am wirksamsten umzusetzen ist. Ich kenne es seit wahrscheinlich 35 Jahren …

Was jedoch am unmittelbarsten für mich war, ist der Song „Hand Of God“ von Nick Cave. Sein Album „Carnage“ hatte ich in der Pandemiezeit sehr oft gehört. Nick Cave und Franz Schubert, beide kennt man vor allem auch wegen ihrer Schauerballaden, von daher passten sie für mich sehr gut zu einem Geisteralbum. Zu jedem der zehn Songs auf dem Album ließe sich eine Art Spukgeschichte erzählen.

Lassen Sie uns noch etwas beim „Erlkönig“ bleiben. Die Wirkung dieser Ballade von Goethe auf den gerade mal 18jährigen Franz Schubert muss extrem gewesen sein - an nur einem Tag hat er die Komposition für Singstimme und Klavier geradezu hingefeuert. Der Hörer folgt dieser schauerlichen Geschichte und wird dazu emotional „aufgeladen“ von Schuberts großartiger Musik. In Ihrer Bearbeitung verzichten Sie auf den Text und übertragen dessen Wucht auf die Instrumente Ihres Trios …

… genau! Bei einem Coversong geht es ja vor allem darum, welche Inszenierung man für den Song findet. Man macht sich also Gedanken darüber, welche Elemente des Songs man aufgreift und wie man mit ihnen umgeht. Jetzt habe ich, wie Sie gerade sagen, den Text nicht, trotzdem soll die Musik ja funktionieren, soll sie als eigenständiges Stück wirken, und zwar nicht nur für die, die das Original kennen. Aber eben auch für die, die es kennen! Was den Song für mich ausmacht, wenn den Text mal beiseitelässt, ist seine unglaubliche Sogwirkung. Zu den pianistischen Merkmalen und Besonderheiten zählen zum Beispiel die Triolen, die das ganze Lied hindurch laufen – jeder Klavierbegleiter hat Respekt vor diesem Klavierpart. Das ist natürlich eine Art Inszenierung dieses Ritts – man steuert das ganze Lied über auf das Ende zu, bis einem der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Das war für mich eine Art Inszenierungsvorlage und nun ging es darum, sie mit unserem Mitteln darzustellen. Wir stellen also dieses sehr monströse Bassmotiv in den Mittelpunkt, in Verbindung mit dem Schlagzeug beinahe eine Art Folk-Horror, etwas Perkussives, Peitschendes. Ein Monster das uns auf Schritt und Tritt verfolgt. Darüber schwebt dann, so ein bisschen entrückt, diese Originalmelodie, die ja auch bei Schubert von Zeit zu Zeit sehr lieblich, sehr verführerisch ist. Auch die Achteltriolen aus der originalen Begleitung spuken später wieder durch den Raum. Insofern ist das genau richtig gefragt: der Text ist nicht da, was macht man dann? Man inszeniert einfach das Stück Musik, indem man sich der Ideen des Originals bedient und sie umdeutet, sie in einen eigenen Kosmos bringt.

Neben den acht Coverversionen enthält das Album auch zwei Originalsongs: „Hauntology“ und „Monsters Never Breathe“. In diesem Zusammenhang interessiert mich, auch mit Blick auf Ihre so vielfältigen Projekte und Ausdrucksformen – von Solo über Trio und Quartett bis zu größeren Formen, etwa mit einem Ensemble der Berliner Philharmoniker bis hin zu den „Wunderkammer-Projekten“ mit der HR -Big Band, vor allem diese Frage: Entstehen die Bilder Ihrer Kompositionen vorab im Kopf eher horizontal oder vertikal? Komponieren Sie melodisch oder sind es eher Vorstellungen bestimmter harmonischer und rhythmischer Abläufe und Strukturen, die Sie dann umsetzen?

Das ist eine sehr komplexe Frage (lacht). Ich denke, was mich beim Schreiben immer voranbringt, ist die Melodie. Man erzählt eine Geschichte, der man folgen kann - das ist für mich die Melodie. Jetzt ist es aber so, dass Melodie und Harmonie für mich gar nicht so weit auseinanderfallen. Es gibt ein Zitat von Skrjabin: „Harmonik und Melodik sind eigentlich das Gleiche, nur eben vertikal und horizontal“ Das ist auch für meine Art zu schreiben wichtig: was für Klänge aus der Melodie entstehen und umgekehrt: welche Melodien entstehen aus den Klängen. Das ist sehr verknüpft miteinander, aber im Moment des Spielens und Schreibens sind es für mich immer die Melodien, die die Sachen voranbringen. Und der Rhythmus, das ist für mich vor allem erst mal die spezifische Bewegung dieser Melodie. In guten Momenten muss man beim Schreiben gar nicht viel Kraft aufwenden, man befindet sich in einem Sog, der aus einem eine Kette von Tönen herauszieht. Und manchmal sind diese Töne eben einstimmig, manchmal sind sie mehrstimmig, manchmal sind es Farben, manchmal sind es Geräusche …

Notieren Sie alles, wenn Sie komponieren oder nehmen Sie auf und merken sich das auf diese Weise? Wie ist das, wenn Sie solistisch oder in kleiner Besetzung, Trio oder Quartett arbeiten – wieviel Raum bleibt da für das Improvisieren?

Bei diesem Album „Ghost“ ist schon viel arrangiert und inszeniert, etwa bei Gershwins „I love you Porgy“ - aber WAS wir darüber spielen, ist frei.  Ich würde mal sagen, dass bei meinen Projekten etwa 20 - 30% aufgeschrieben sind, der Rest wird improvisiert. Wenn ich mit Orchestern arbeite, dann sind die Orchesterstimmen natürlich alle ausnotiert. Was meinen Klavierpart betrifft, da gibt es nichts Aufgeschriebenes.  Das ist wie ein Rahmen, wenn man komponiert: der Rahmen besteht aus festen Bestandteilen und wird dann jedes Mal ausgefüllt mit freien Improvisationen.

Dass wir bei diesem Album ein bisschen strengere Arrangements haben liegt auch daran, dass die Stücke, im Studio aufgenommen, relativ kurz sind, kaum länger als drei, vier Minuten. Kleine kompakte Welten. Wenn wir die im Konzert spielen, kann ich mir vorstellen, dass sie sich sehr weit öffnen, dass viel mehr Raum für Improvisation bleibt. Improvisation ist für uns eigentlich der Grund dafür, dass wir diese Musik spielen.

Verschiedene Komponisten haben ihre Werke bestimmten Interpreten auf den Leib komponiert: C. M. von Weber komponierte seine Klarinetten-Konzerte für Heinrich Joseph Bärmann, Mozart komponierte Arien für bestimmte Sängerinnen, Johannes Brahms sein Violinkonzert für den großen Geiger Joseph Joachim – sie alle hatten das besondere Potential ihrer Interpreten im Blick. „Ghosts“, Ihr neues Album, haben Sie mit zwei Weggefährten aufgenommen, die Sie schon länger begleiten - Tim Lefebvre am Kontrabass und Eric Schäfer am Schlagzeug. Sind deren Parts auf diesem Album Teil eines solchen Prozesses der Vorwegnahme bestimmter Erwartungen und Ansprüche?
Auf jeden Fall! Ich glaube, ich habe noch etwas geschrieben, ohne die Leute im Auge zu haben, für die ich komponiere. Das ist von Projekt zu Projekt natürlich unterschiedlich, aber im Idealfall versuche ich, nicht alles vorzuschreiben. Ein Mann wie Tim Lefebvre zum Beispiel, der hat so viel Klang in sich, soviel Erfahrung, Klangfarben – wenn er so eine Art rudimentäres Gerüst von dem Song bekommt, dann kann der eigentlich damit machen, was er möchte. Und mit Eric Schäfer spiele ich schon seit 20 Jahren zusammen, wir kennen uns sehr gut. Grundsätzlich habe ich, wenn ich an das Schlagzeug denke, erst mal Eric im Kopf. Ich sehe also diese Personen vor mir und versuche, ihnen Anlässe zu geben, anzufangen …
 
Gabs mal Situationen, wo Sie gesagt haben: „Nein, bei aller Freundschaft - das hab ich nicht gemeint, das müsste anderes gespielt werden?“
Ach, das gibt es in jeder Probe, wenn man hart arbeitet. Da verändern sich ursprüngliche Ideen oft - man kommt mit einem eigenen Stück und die anderen haben plötzlich ganz andere Vorstellungen, man ändert Tempi und Tonarten, der Song wird völlig umgebaut. Dieser Weg kann schmerzhaft sein, er ist aber tatsächlich unverzichtbar. Denn man muss das Material immer zu seinem eigenen machen, sonst kann man nicht damit spielen. Das ist das schöne an improvisierter Musik – sie gehört nie ganz alleine nur mir, es sind immer alle, die sie spielen beteiligt – und zu einem nicht geringen Teil tatsächlich auch die, die dabei zuhören.
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