Thomas Otto sprach mit August Zirner über seine Wege zur Musik, über das Heldenbild zu Beethovens Zeit – also einst – und heute, sowie über die Besonderheiten des Egmont-Textes bei dieser Aufnahme.
Herr Zirner, lassen Sie uns doch zunächst mit einem Instrument beginnen und dazu über einen Zweiteiler reden, der 2001 im Fernsehen lief: „Trenck – Zwei Herzen gegen die Krone“, ein Film über Liebe des Friedrich Freiherrn von der Trenck zur preußischen Prinzessin Anna Amalia am Hofe Friedrichs II. den Sie in diesem Film verkörperten. Über Friedrich wissen wir, dass er recht gut Flöte spielte – sein Lehrer war der damals bedeutende Flötenvirtuose Johann Joachim Quantz. Dessen „Versuch einer Anweisung, die Flöte traverse zu spielen“ von 1752 ist bis heute ein Standardwerk. Friedrich selbst hat 121 Flötensonaten dazu einige Flötenkonzerte und Sinfonien komponiert, das alles gegen den ausdrücklichen Willen seines Vater. Ihre Darstellung Friedrichs nun fand mit dem Instrument statt – Sie spielten Flöte. War die Rolle Friedrichs des Großen die erste praktische Begegnung mit der Musik?
Ich verdanke Friedrich dem Großen die Erkenntnis, dass es schön ist, wenn ein „Mächtiger“, ein Landesfürst auch kultiviert ist. Der Weg zu der Rolle verlief über seine Solfeggien, (franz. Solfège), eigentlich Gesangsübungsstücke, von denen er etliche komponiert hat. Ich hatte mich neben der Sekundärliteratur über ihn auch mit diesen Solfeggien beschäftigt und jeden Tag welche geübt. Ich habe beim Üben erlebt, dass mich diese Musik, diese Noten in die Seele des Friedrich geführt haben. Ich weiß nicht mehr, welche Solfège es war – da gab es eine Passage von vier Takten, ein Lauf, bei dem ich plötzlich begriff, wie einsam Friedrich der Große war.
Das hat Ihnen dann auch über die Musik hinaus auch beim Umgang mit der Rolle geholfen …
Absolut! Über die Notenschrift, über die Musik habe ich begriffen, wie ich den Friedrich spielen könnte. Meistens ist es ja der Text, der einen belehrt – in diesem Fall waren es die Noten.
Dann war ja die Begegnung mit dem musikalischen „Egmont“, also mit Beethovens Schauspielmusik beinahe folgerichtig …
… interessant ist, dass ich nach dem Friedrich immer wieder Begegnungen mit Melodramen hatte. Ob das die „Gurre-Lieder“ oder „Kol Nidre“ von Arnold Schönberg waren, oder die „Kaddish-Sinfonie“ von Leonard Bernstein – es gab immer wieder Anfragen, bei solchen Orchesterwerken als Sprecher mitzuwirken. Ich habe inzwischen sogar zwei Melodramen selber mitkonzipiert.
Der Weg zum „Egmont“ verlief eher über den Text, wobei ich mich an der Fassung von Franz Grillparzer etwas gestört hatte und darüber auch mit dem Bayerischen Rundfunk gesprochen habe: Das Original ist oft aussagekräftiger als eine Interpretation des Originalen. Die Textvorlage für Beethovens Musik hat zwar diese Grillparzer’sche Nettigkeit, die ich nur bedingt mag, aber Goethes Text ist einfach politischer. Deshalb habe ich mich zunächst auf ihn konzentriert und dann beide Fassungen so gut es ging gemischt.
Beethovens Schauspielmusik stammt aus seiner mittleren Schaffensphase, in der sechs seiner Sinfonien – von der dritten bis zur achten – entstanden, seine Klavierkonzerte 4 und 5, sein Violinkonzert. Parallel dazu komponierte er seine wichtigsten Bühnenmusiken in dieser Phase: seine Oper „Leonore“, die Coriolan“-Ouvertüre und eben den „Egmont“. Es entsprach dem Zeitbild von Helden, das Beethoven „bediente“. Florestan, Coriolan, Egmont – sie alle leiden unter den gesellschaftlichen Umständen. Ist die Figur „Egmont“, sind seine inneren Konflikte noch zeitgemäß?
Ja! Das ist ja das Schreckliche! Der Kampf des Einzelnen um die individuelle verantwortungsvolle Freiheit ist ja, wie wir tagtäglich aus den Nachrichten hören, immer noch nicht zu Ende gekämpft. Und wahrscheinlich bleibt es ein ewiger Kampf. Es wird immer der Einzelne gegen eine übergeordnete Instanz um seine Individualität zu kämpfen haben. Ich bin durch und durch vom demokratischen Gedanken geprägt, aber ich merke auch, wie unvollkommen die Umsetzung von Demokratie noch immer ist. Und das ist ja auch, was der Goethe angestoßen hat, mit allen Eitelkeiten der Figur, allen Narzismen, mit allen männlichen Wichtigtuereien und Eitelkeiten – die Freiheit zu denken und zu glauben, ist sicher etwas, worum die Menschheit ein Leben lang ringen wird. Das ist ja das Verrückte an dieser Rolle – man könnte leichtfertig und gendergetreu sagen: naja, das ist halt ein Macho und deshalb scheitert er! Aber das ist natürlich zu einfach. Es lohnt sich immer wieder, sich damit auseinanderzusetzen.
Das ist übrigens in der Musik nicht anders. Bei wie vielen Stücken, die man hört, denkt man: naja, das ist ja schon ganz schön abgedroschen. (singt ein Mozartmotiv) Und schaut man dann in die Noten oder hört einen anderen Interpreten merkt man: das Stück selbst ist nicht abgedroschen – es ist die oberflächliche, eingefahrene, oft eitle Interpretation, die diesen Eindruck hervorruft und dadurch eine vollkommen falsche Wahrnehmung des Kunstwerks erzeugt.
Suchen Sie sich denn auch heute noch Flötenliteratur aus, die Sie einstudieren, auch wenn kein bestimmter Anlass besteht? Und haben Sie musikalische Weggefährten, mit denen Sie auf diesen Pfaden fortschreiten?
Ich habe inzwischen fünf Musikprojekte, überwiegend mit Kontrabass und Querflöte. Eines davon ist der „Kleine Prinz“ mit Kai Struwe. Mit Sven Faller mache ich ein ganz besonderes Projekt: die „Transatlantische Geschichten“, in denen es auch um meinen Großvater, den Komponisten Franz Schmidt geht, und Musik – da wandern wir von der klassischen Moderne bis zum Jazz, spielen richtige Standards, wie Brubecks „Take five“ oder Gershwins „Summertime“ bis zu Miles Davis. Ein ganz neues Projekt heißt „Mingus!“. Dafür haben wir Texte geschrieben und spielen Werke von Charlie Mingus. Das sind schwere Stücke.
Inzwischen habe ich den Ehrgeiz entwickelt, mindestens ebenso gut Flöte spielen zu können, wie ich sprechen kann …